Als sich die Eröffnung des städtischen Museum Kurhaus Kleve 1997 abzeichnete, in dem die Kunst- und Kulturgeschichte in und um Kleve naturgemäß eine exponierte Position einnehmen würde, erwarb die Stiftung Kunst und Kultur des Landes Nordrhein-Westfalen (heute: Kunststiftung NRW) 1996 eine Gruppe von dreizehn mittelalterlichen Skulpturen vom Niederrhein aus der Sammlung des Benrather Hautarztes Dr. Adolf Helfer (Benrath 1898–1967), die sich seitdem als Dauerleihgabe in der Museumssammlung befindet – und aus dieser schlichtweg nicht mehr wegzudenken ist.
Dr. Adolf Helfer hatte sich in den 1930er Jahren intensiv mit der niederrheinischen Kunst beschäftigt – in einer Zeit, als diese u.a. durch Ausstellungen wie „Tausend Jahre Deutscher Kunst am Rhein“ (Köln 1925) im Fokus des Interesses stand. Den Kern seiner Sammlung erwarb er von den Kindern des neugotischen Bildhauers Ferdinand Langenberg (Goch 1849–1931), der mit seiner 1877 gegründeten Werkstatt jahrzehntelang die Neugotik am Niederrhein prägte.
Ferdinand Langenberg erhielt viele Aufträge sowohl für neue Altäre und Bildwerke als auch für die Restaurierung mittelalterlicher Skulpturen. Wie andere neugotische Bildhauer seiner Generation (z.B. Richard Moest in Köln, die Gebrüder Konrad und Friedrich Kramer in Kempen und Friedrich Wilhelm Mengelberg in Utrecht) nutzte er seine Kontakte, um eine umfangreiche Sammlung mittelalterlicher Bildwerke zusammenzutragen, die ihm auch als Vorbilder dienten.
Als Ferdinand Langenberg 1931 starb, führten seine Kinder Joseph und Maria die Werkstatt weiter, bis sie 1936 wegen der Folgen der Wirtschaftskrise und der neuen politischen Verhältnisse gezwungen waren, sie aufzugeben. Nach und nach veräußerten sie, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, Werke aus der Sammlung – zunächst an den Sammler Dr. M.J. Binder und zwischen 1939 und 1950 auch an Dr. Adolf Helfer. Ein dritter Teil, bestehend aus 12 Skulpturen, wurde 1939 in einem Dordrechter Auktionshaus versteigert. Die 22 Skulpturen, die nach 1950 bei Langenbergs Erben verblieben waren, erwarb 1953 die Stadt Goch für das ihr Museum.
Von den dreizehn Skulpturen, die 1996 für das Museum Kurhaus Kleve aus der Sammlung Adolf Helfer gewonnen werden konnten, entstammen elf der Sammlung Langenberg. Unter ihnen sind zwei Hauptwerke niederrheinischer Plastik: der „Himmelfahrtschristus“ des Meisters Arnt von Kalkar und Zwolle sowie die „Heilige Katharina“ von Kerstken Woyers.
Die frühesten Skulpturen stammen aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, ein „Heiliger Diakon“ und ein „Thronender Bischof“. Beim „Heiligen Diakon“ ist der Einfluss des Weichen Stils noch spürbar, der „Thronende Bischof“ dürfte nur wenig später entstanden sein.
Aus der Werkstatt des bedeutendsten Bildschnitzers des 15. Jahrhunderts am Niederrhein, Meister Arnt von Kalkar und Zwolle, stammen drei Bildwerke, der „Himmelfahrtschristus“, ein „Engel mit Kreuz“ und ein „Heiliger Papst“. Der Engel repräsentiert einen am Niederrhein verbreiteten Figurentypus: Als Wappenträger weist er die Leidenswerkzeuge Christi, die sog. „Arma Christi“, vor.
Der „Himmelfahrtschristus“ stellt (zusammen mit einem stehenden Schmerzensmann in der Kirche von Oostrum bei Venray) einen Höhepunkt im Werk des Meister Arnt dar. Die ausgehöhlte Skulptur kann geöffnet werden, an ihrer Rückseite befinden sich Ösen. Es handelt sich bei ihr um den einzigen niederrheinischen Beleg für einen im Mittelalter populären Brauch: An Christi Himmelfahrt zog man die Skulptur eines sog. „Auffahrtschristus“ vom Kirchenschiff ins Gewölbe – eine Figur, die mit segnend erhobener rechter Hand auf einer Wolke stand. (Die Wolke ist beim Exemplar in der Klever Museumssammlung leider verloren gegangen.) Während der „Himmelfahrt“ öffneten sich die Klappen an der Rückseite und wirbelten weiße Rosen herunter auf die Gläubigen.
Wahrscheinlich ist das Bildwerk in der Klever Sammlung identisch mit dem von Meister Arnt 1476 an den Xantener Kirchmeister Gerhard Vaeck ausgelieferten und von Theodorick von Ginderich bemalten „Ymago Salvatoris“. Testamentarisch vermachte Vaeck bei seinem Tod 1480 ein Legat zur weiteren Pflege dieses Liturgiespiels am Himmelfahrtstag im Xantener Dom. Wenige Jahre später sollte Martin Luther gegen solche Bräuche in der katholischen Kirche opponieren, so dass diese im Laufe der Zeit in Misskredit gerieten.
Für die heutige Kenntnis der spätmittelalterlichen Werkstattpraxis ist die „Heilige Katharina“ des Kerstken Woyers von eminenter Bedeutung. In ihrem Inneren entdeckte Dr. Adolf Helfer 1941 einen Zettel mit einem vom Bildhauer persönlich geschriebenen Text, der wichtige Mitteilungen über die Entstehung der Figur enthält. Demnach wurde die Figur geschnitzt von Kerstken Woetz (Woyers) im Auftrag von Jan Craen aus Venlo. Sein Gehilfe war Henrick Schut aus Kleve, und der Fassmaler hieß Hubert van Hinsbeck aus Venlo, der identisch ist mit Hubert Goltz, dem Großvater von Hendrick Goltzius. Ausgeliefert wurde die Arbeit am Heiligen Abend des Jahres 1494. Darüber hinaus vermittelt der Zettel wichtige technische Details: Die Figur wurde in einem Braukessel gekocht und hinterher in einem Ofen gebraten, so dass das Holz völlig getrocknet war, als der Fassmaler an die Arbeit ging.
Auch nach 1997 konnte die „Sammlung Adolf Helfer“ um wichtige Stücke bereichert werden, u.a. dank des Mäzenatentums aus seiner Familie (die nicht namentlich genannt werden möchte). Es kamen Werke des Bildhauers Dries Holthuys hinzu (z.B. „Anbetung des Kindes“), aber auch Arbeiten von Henrik Douverman („Die Heiligen Drei Könige“) und Arnt van Tricht („Handtuchhalter mit Heiliger Familie“).
Heute vermittelt die Mittelalter-Sammlung des Museum Kurhaus Kleve ein repräsentatives Bild der spätgotischen Skulptur am unteren Niederrhein. Fesselnd ist dabei die durchgängig außerordentlich hohe Qualität der Werke. Die Kunst im Herzogtum Kleve erlebte zwischen 1460 und 1540 eine einzigartige Blüte, die auch in späteren Zeiten nie mehr übertroffen wurde. Die niederrheinische Schnitzkunst legt ein eindrucksvolles Zeugnis dieser faszinierenden Epoche ab. Die Sammlung Adolf Helfer bildete dafür die Basis im Museum Kurhaus Kleve.