Barry Le Va (1941-2021) gilt als Erneuerer der Skulptur nach 1960 und als ein bedeutender Vertreter der Process Art. Die Ausstellung „In a State of Flux“ zeigt auf, wie der Künstler die Geschlossenheit der skulpturalen Form aufbrach und das Prinzip der Veränderung und Instabilität in sein Werk integrierte. Bereits 1966 begann Le Va mit der Schaffung von sogenannten „Scatter Pieces“ auf dem Boden, welche Künstler wie Richard Serra entscheidend beeinflussten. Die Radikalität dieser Arbeiten liegt darin, dass Materialien lose auf dem Boden verteilt werden - sie werden geworfen, gelegt, gestapelt, gesiebt - ohne Sockel, ohne grossen materiellen Wert und gleichsam fast ohne jede materielle Substanz. „Die meisten seiner Stücke entstehen vor Ort und werden nach der Ausstellung weggekehrt, aufgesaugt oder weggeschmissen“ beschreibt der Kölner Galerist Rolf Ricke die Vorgehensweise des Künstlers. Die Installationen wurden nach genauer Planung und mit Bedacht ausgeführt, liessen aber zugleich den Zufall und den Moment der Improvisation zu werkbestimmenden Elementen werden.
Bei der Galerie Rolf Ricke in Köln fand 1970 auch die erste europäische Ausstellung von Barry Le Va statt, in der er unter anderem eine grossflächige Bodenarbeit mit Mehl zeigte. Mit demselben Material realisierte der Künstler in seiner legendären Ausstellung in der Londoner Nigel Greenwood Gallery im Oktober 1971 eine raumgreifende Bodenarbeit in einer Industriehalle, deren Struktur an verwehte Schneelandschaften erinnerte. Neben diesem Interesse an offenen Skulpturen aus Mehl, Kreide oder Filz, die sich für einen Moment in die Architektur einschreiben, faszinierte Le Va die Idee der Vergänglichkeit im Sinne von körperlichen Veränderungsprozessen, die durch unvorhergesehene Ereignisse hervorgerufen werden. So entstanden Anfang der 1970er Jahre auch Werke mit zerschlagenem Glas, mit Fleischermessern und mit Pistolenschüssen, die eine Form von Tatorten darstellen. Barry Le Va war zeit seines Lebens ein Anhänger von Sherlock Holmes und „fasziniert von der Idee der visuellen Indizien, von der Art und Weise, wie Sherlock Holmes es schaffte, eine Handlung aus obskuren visuellen Indizien zu rekonstruieren.“
Die Ausstellung im Museum Kurhaus Kleve ist die erste Retrospektive nach dem Tod des Künstlers und gibt einen Überblick über sein Schaffen von den 1960er Jahren bis zu den letzten Werkgruppen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf dem Frühwerk sowie auf der Beziehung zwischen der Zeichnung und der Skulptur im Werk des Künstlers. Das Kurhaus kann dabei an eine bereits bestehende Auseinandersetzung mit Le Va anknüpfen. So fanden in der Region drei wegweisende Ausstellungen statt, die den Künstler einem breiten Publikum vorstellten: 1988 im Kröller-Müller Museum in Otterlo, 1989 im Museum Abteiberg in Mönchengladbach und 1994 im Schloss Morsbroich in Leverkusen.
Die Ausstellung „Barry Le Va: In a State of Flux“ ist eine Produktion des Kunstmuseum Liechtenstein, sie wurde zuvor im Kunstmuseum Liechtenstein (26.4.-29.9.2024) und in der Fruitmarket in Edinburgh (16.11.2024 - 2.2.2025) gezeigt. Die Ausstellung wird von einer dreibändigen Publikation begleitet, in der besonders die Stimme des Künstlers durch seine «Notes» (Statements) und durch die Wieder- und Erstveröffentlichung von Interviews zu Wort kommt.